Angefangen hat es mit Comics. Beziehungsweise, mit Abbildungen von Frauenkörpern als Ausgangsmaterial für Collagen. Mit ihrem Interesse an nackten weiblichen Körperdarstellungen – natürlich vor allem von Männern gezeichnet – landete Elisabeth Ehmann schnell bei erotischen Comics, und irgendwann auch bei harten Pornoheften. Das Spektrum zwischen den trostlos expliziten Fotos im Sexkontaktmagazin „Happy Weekend“ und den als künstlerisch wertvoll eingestuften, aber genauso expliziten Darstellungen des Zeichners und Fetischkunst-Pioniers Eric Stanton auszuloten und dabei immer einen wertschätzenden Blick auf den weiblichen Körper zu wahren, gelang der Künstlerin dank einer humorvollen Haltung zwar, hatte aber Folgen.

Auf einmal fand sich Ehmann knietief in existentiellen Fragestellungen zwischen Schuld und Unschuld, Begehren und Konsum, Fantasie und Realität, die auch nicht verschwanden, als sie sich mit Tierskulpturen auseinanderzusetzen begann. Dabei schien das Sujet erst einmal ganz harmlos. Das Wesen eines Tieres in einer statischen Skulptur einzufangen ist als universelle Aufgabenstellung in der Kunst genauso alt wie das Bedürfnis, Tieren einen symbolischen Wert zuzuschreiben. Tiere haben eine hohe Wiedererkennbarkeit, und der Mensch setzt sich unmittelbar zu ihnen in Beziehung. Tatsächlich aber lauern in der Betrachtung eines Tieres auch Untiefen. Vor allem der Affe, dem Menschen so ähnlich und doch „anders“, steht für die Unzulänglichkeit menschlicher Selbsterkenntnis, wie sie immer wieder durch die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung bewiesen wird: Wenn wir so klar erkennen, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, warum haben wir dann so offenbar Probleme mit einem klaren Blick auf uns selbst?

Angesichts dieser so fundamentalen wie banalen Fragestellung ist es vielleicht kein Wunder, wenn das Einfache, Vertraute, Harmlose immer wieder ins Dunkle kippt, ohne dass man genau ausmachen könnte, wie das passiert, bei den Tierskulpturen genauso wie bei den zum Teil mehrere Meter Fläche umspannenden Collagen, die mittlerweile aus einem sehr vielschichtigen Fundus an Bildquellen schöpfen: Zu den erotischen Comics und Pornomagazinen gesellten sich im Lauf der Zeit Zeitschriften zu allen möglichen Themen, dazu Auktions- und Ausstellungskataloge, Pflanzenbestimmungsbücher, Lexika… Auf ihrer Jagd nach Bildern in Antiquariaten, auf Flohmärkten oder in Kunstbuchhandlungen hat sich die ausgebildete Grafikdesignerin ein umfangreiches Wissen über die Geschichte des seriell reproduzierten Bildes von den Anfängen bis heute angeeignet – nicht durch Lesen, sondern durch Sehen. Aspekte wie Druckqualität (schlechter geworden), Haptik des Papiers (von größter Bedeutung) oder Farbgebung (leuchtende Farben sind seltener als dunkle) sind genauso relevant wie die abgebildeten Motive, wobei letztere unabhängig von ihrem Aussagegehalt immer danach ausgewählt werden, wie gut sie in das Gesamtgefüge passen. Eine äußerst komplexe Angelegenheit, die meist mit einem Papierschnipsel und ohne Zielkomposition beginnt und Teil um Teil organisch wächst. Dabei fügen sich die einzelnen Bestandteile zu landschaftsartigen Strukturen, die mithilfe von (durch kleine Hölzchen auf Abstand gehaltenen) Überlappungen eine räumliche Anmutung erhalten und aus der Ferne wie extrem pastose Malereien aussehen. Was auf den ersten Blick oft wie eine abstrakte Komposition wirkt, entfaltet bei näherer Betrachtung eine Sogwirkung, die aber nicht überfordert, sondern es dem Betrachterauge überlässt, selbst zu entscheiden, wie tief es eindringen möchte.

Wer in längerer Betrachtung verharrt, wird allerdings mit erhellenden Einsichten belohnt, nicht nur, weil die Kombination von Bildelementen hier und da kleine narrative Szenen ergibt, sondern vor allem auch, weil sich erst dann Hinweise auf die technische Perfektion erschließen, und bei Ehmann führt Technik zu Inhalt, mehr noch, Technik ist Inhalt. Die Skulpturen etwa durchlaufen viele verschiedene Produktionsschritte von der ersten Drahtform über 3D-Scans bis zu unterschiedlich beschichteten Güssen, wobei der Perfektionsgrad der Ausführung sie mit einer Aura des Erhabenen versieht und die profanen Realitäten der Produktion verschleiert. Da gibt es eine Affenskulptur, die wirkt, als wäre sie aus Porzellan, dabei ist sie aus hochglanzlackierter Bronze, oder eine andere, die aussieht wie aus Holz, dabei besteht sie aus einem technologisch innovativen Labormaterial. Vom wiederverwendeten Papier für die Collage zum digitalisierten Collagenmotiv auf aus recycelten Flaschen gewonnener Seide, vom klassischen Bronzeguss zur Skulptur aus dem 3D-Drucker, die Überführung von traditionellen in innovative Materialien und Techniken charakterisiert genau wie der Aspekt der Nachhaltigkeit die Produktionsprozesse bei Ehmann, eine zeitgemäße und auf die Bedingungen unserer Zeit reagierende Kunstproduktion ist ihr ein zentrales Anliegen.

Auch wenn Elisabeth Ehmann universelle Fragen des Kunstmachens behandelt, ihre Kunst ist nicht leicht zu kategorisieren. Damit verbunden sind einige Herausforderungen, denn der Kunstbetrieb mag es nach wie vor gern klar definiert. Konzeptbasierte Kunst zum Beispiel ist immer gut, weil eher sperrig als gefällig, denn gefällige, womöglich sogar „hübsche“ Kunst läuft Gefahr, als inhaltsleer abgestempelt zu werden. Zudem gilt: Wer Kunst macht, hat keine Mode zu machen, oder Design, oder irgendwas anderes gestalterisch Angewandtes. Aber Ehmann nimmt die Herausforderung an. Sie erprobt, wie ihre Kunst gefällig sein kann und dabei trotzdem als Kunst wahrgenommen wird, oder wie weit sie sich vom klar als „künstlerisch“ definierten Arbeiten entfernen kann – zum Beispiel, indem sie ihre Motive von Modedesignern verarbeiten lässt – und dabei trotzdem als Künstlerin wahrgenommen wird. Aspekte wie die Verhandlung ihrer Rolle als Künstlerin, ihr Verständnis vom Kunstbegriff oder ihr Verhältnis zum Kunstbetrieb werden in ihren Arbeiten zwar nicht thematisiert, sie bedingen aber mittelbar deren Entstehen. Und wenn die Arbeiten schon zu äußerst genauem Hinschauen einladen, warum nicht auch in die Betrachtung mit einbeziehen, unter welchen Bedingungen diese und Kunst überhaupt heute entsteht.